Was ist die Theorie hinter dieser Daytrading-Strategie?
Daytrading-Strategien, die nach Übertreibungen suchen, gehen davon aus, dass es sich in der Chartanalyse widerspiegeln kann, wenn ein Wert „überkauft“ ist. Die Marktmeinung rechtfertigt also den aktuellen Kurs nicht unbedingt, sondern dieser führt zu einer Überbewertung des Basiswertes.
In der Chartanalyse lässt sich diese Situation an besonders starken Kursausschlägen erkennen: Ein Basiswert, der ohnehin einen längeren Trend hinter sich hat, erfährt noch einmal eine sehr steile Kurssteigerung.
Wenn dies eintritt, ist es ebenso wahrscheinlich, dass dem Markt dies „auffällt“: Es finden sich keine Käufer mehr für diesen „überkauften“ Kurs. Weil niemand bereit ist, den Basiswerte für diesen Kurs zu kaufen, fehlt in dieser Richtung die Liquidität.
Trader, die Gewinne realisieren möchten und auch andere Anleger wollen zudem die Gelegenheit, für diesen sehr guten Kurs zu verkaufen. Take Profit-Orders werden ausgelöst. Im Anschluss daran sinkt der Kurs recht plötzlich. Oftmals ist dies zudem das Startsignal für eine gegenläufigen Trend, der länger anhalten kann, oder zumindest für eine recht deutlich Korrektur.
Trader, die Übertreibungen handeln, versuchen genau diesen Moment zu nutzen, um in den Gegentrend einzusteigen. Das würde bei einem überkauften Wert bedeuten, dass sie Short-Positionen eröffnen.
Auch in die andere Richtung ist diese Strategie anwendbar. Dann sprechen Trader nicht von „überkauft“, sondern von „überverkauft“. Allerdings müssen sie Besonderheiten beachten und können ihre Erfahrungen nicht direkt übertragen. Kursverluste geschehen oft heftiger als Kursgewinne, dies gilt auch für Übertreibungen. Dementsprechend müssen Trader hier zum einen schneller sein, zum anderen können die Positionen oft schneller geschlossen werden.
Was ist der Relative Strength Indikator?
Der Relative Strength Indikator (RSI) ist einer der bekanntesten und beliebtesten Indikatoren, die für die Chartanalyse zur Verfügung stellen. Es handelt sich um einen sogenannten Oszillator. Im Gegensatz zu einfachen Trendfolgeindikatoren bewegt der Oszillator sich um einen oder zwischen zwei Werten. Der RSI schwankt beispielsweise zwischen 0 und 100.
Ein Trendfolgeindikator kann hingegen deutlich mehr Zahlen annehmen und gibt eine absolute Entwicklung an. Der Oszillator setzt hingegen immer Daten ins Verhältnis zueinander.
Beim RSI sind es die folgenden zwei Entwicklungen:
- Geschwindigkeit eines Trends
- Richtung des Trends
Dafür setzt er die Volatilität des Basiswerts über die gewünschte Zeit in Relation. Dabei gilt: Je kleiner oder größer der Wert, umso eher ist der Kurs überkauft (ab 70) oder überverkauft (unter 30). Es ist allerdings auch möglich, diese Werte nicht starr zu sehen, sondern an den tatsächlichen Markt anzupassen.
Dabei sollten Einsteiger allerdings nicht den Fehler machen und der Meinung sein, dass ein extrem niedriger oder hoher Wert ein besonders sicheres Investment sei. Bei jedem Oszillator müssen Trader davon ausgehen, dass dann eine ungewöhnliche Marktsituation vorliegt und der RSI unter Umständen keine besonders hohe Wahrscheinlichkeit für einen guten Trade andeutet. Stattdessen kann sich der Kurs in diesen Situationen in alle Richtungen entwickeln und es ist eher ein Zeichen dafür, dass Trader besonders vorsichtig sein sollten.
Der RSI gehört zu den älteren Indikatoren. Er wurde bereits 1978 von Welles Wilder entwickelt und gehört zu den Range-Compression-Oszillatoren. Verwechslungsgefahr besteht zum RSL-Indikator, dem Indikator der Relativen Stärke.
Übertreibungen im Chart erkennen
Viele Trader, die Übertreibungen handeln, orientieren sich vor allem am Chartverlauf. Hier erkennen Trader diese Entwicklung auf unterschiedliche Art. So sind einige Trader der Meinung, ein Kursanstieg über 45 Grad würde schon einen deutlichen Hinweis auf überkaufte Werte sein. In die andere Richtung sind sich die Trader hingegen oft nicht ähnlich eindeutig sicher, weil Abwärtsbewegungen oft steiler vollzogen werden. Grundsätzlich ist diese Art der Chartanalyse nicht unbedingt die komplexeste und aussagekräftigste. Sie kann allerdings dabei helfen, interessante Werte und Einstiegszeitpunkte zu finden.
Einige Trader arbeiten darüber hinaus auch mit Unterstützungslinien und Widerständen. Wenn der Kurs diese erreicht, aber nicht überschreitet, tritt oftmals zumindest zeitweise eine Korrektur ein, es kann jedoch auch einen Ausbruch im Sinne eines Trends bedeuten. Entsprechend schwierig sind diese Bereiche auch zu traden. Oftmals nutzen Trader diese Bereiche, um automatische Stop Loss oder Take Profit-Orders kurz dahinter zu platzieren.
Welche Möglichkeit eintritt, ist im Vorfeld nur schwer zu erkennen. Trader sollten deswegen nicht nur grafische Merkmale nutzen, sondern stattdessen weitere Indikatoren nutzen.
Oftmals nutzen Trader allerdings den RSI oder andere Oszillatoren, um Übertreibungen zu erkennen. Auch hier lässt sich in der Chartdarstellung erkennen, wann diese eintritt. Viele nutzen jedoch vor allem die absoluten Werte:
- Ein RSI über 70 gilt als Überkauft-Signal
- Ein RSI unter 30 gilt als überverkauft Signal
- Ein Stand von über 50 gilt zudem als Kaufsignal, weniger als Verkaufssignal
Welche Indikatoren sind gute Alternativen oder Ergänzungen zum RSI?
Einer der großen Herausforderungen beim Daytrading von Übertreibungen ist nicht zuletzt, dass der RSI in kurzen Zeiträumen recht unzuverlässig ist. Dementsprechend kommen Trader kaum daran vorbei, mehr als einen Indikator zu nutzen.
Der RSI allein kann die Stärke und Geschwindigkeit des Trends angeben. Oftmals kann es sinnvoll sein, einen dieser beiden Eigenschaften der Kursentwicklung noch einmal gesondert zu betrachten und somit die Einstiegssignale besser abzusichern. Dementsprechend empfehlen sich die üblichen Trendfolge-Indikatoren wie MACD und Co. durchaus auch bei dieser Strategie. Oftmals reicht allerdings auch ein einfaches Moving Average aus, um den Trend abzusichern.
Gerade die Probleme bei der kurzfristigen Analyse können zudem zumindest teilweise dadurch verbessert werden, dass Trader grafische Merkmale ebenfalls betrachten und beispielsweise mit Unterstützungslinien oder Widerständen arbeiten. Oftmals hilft dann die Erfahrung dabei, besser zu entschlüsseln, ob es sich um eine Übertreibung und eine dauerhafte Korrektur handelt, oder ob es nur bei einem Pullback bleibt.
Eine sinnvolle Ergänzung, um Widerstände und Unterstützungslinien zu besser identifizieren zu können, kann der Average True Range-Indikator sein. Er gibt die Werte absolut an und zeigt, in welchen Bereichen der Kurs sich üblicherweise bewegt. Somit ist er sehr gut dafür geeignet, die tatsächlichen Bereiche zu ermitteln, die für den jeweiligen Zeitrahmen sinnvoll sind.
Welche Vor- und Nachteile hat es, Übertreibungen zu handeln?
Einer der größten Vorteile dabei, Übertreibungen zu handeln, ist sicherlich der Umstand, dass sowohl Theorie als auch Umsetzung leicht zu verstehen sind und sich die Strategie gut für Einsteiger eignet. Sich in diese Thematik einzuarbeiten, dauert nur ein paar Minuten und Oszillatoren wie der RSI sind gut zu verstehen. Sie geben zudem vergleichsweise eindeutige Empfehlungen und Handelssignale aus, was dazu beiträgt, dass Einsteiger gute Erfahrungen mit ihnen machen können.
Auf der anderen Seite sind die Märkte irrational: Nur weil ein Trader eine Übertreibung vermutet und ein bestimmter Wert nach dem RSI als überkauft gilt, heißt dies nicht, dass auch der Markt diese Meinung übernimmt. Märkte sind grundsätzlich irrational und häufig ist es nicht.
Hinzu kommt, dass sich die Märkte sein den 1980ern verändert haben. Nur weil der RSI in dieser Zeit oftmals gute Ergebnisse erzielen konnte, bedeutet dies nicht, dass er heute noch genauso anwendbar ist wie damals. Viele Trader müssen letztlich damit rechnen, dass Trends sich prinzipiell endlos fortsetzen können, auch wenn die Chartanalyse eine völlig andere Entwicklung prophezeien würde.
Auch der RSI ist gerade im Daytrading nicht völlig unumstritten. Je kurzfristiger der Trade ist, umso unsicherer wird die Vorhersage. Der RSI ist deswegen oftmals ehr für langfristigere Investments geeignet.
Ohnehin fällt es jedoch vielen Tradern schwer, Übertreibungen zuverlässig und mit großer Trefferquote zu handeln. Diese Daytrading-Strategie wird oft in verschiedenen Varianten ausprobiert, es ist jedoch kein Zufall, dass es nur wenige Trader gibt, die dauerhaft auf sie bauen.
Fazit: Übertreibungen sind leicht zu verstehen und schwierig zu handeln
Wohl fast jeder Trader stößt früher oder später auf das Konzept der Übertreibungen. Nicht zuletzt deswegen, weil auch viele Fundamentalanalysten eine ähnliche Theorie nutzen (so zum Beispiel im Value Investment), wirken die Grundsätze auch im Daytrading plausibel. So wollen viele Einsteiger ausprobieren, ob Übertreibungen zu traden für sie erfolgsversprechend ist.
Zusätzlich wirkt diese Strategie auf den ersten Blick auch deswegen so einsteigerfreundlich, weil der RSI in der Anwendung recht leicht ist und auch weitere Bestandteile der Strategie, wie Widerstandslinien oder Unterstützungen schon aus Einführungskursen bekannt sind.
Tatsächlich ist es in der Praxis jedoch alles andere als leicht zu erkennen, ob ein Trend stoppt, weil der Wert überverkauft ist, oder ob es sich nur um einen kurzfristigen Pullback handelt. Außerdem wird der RSI in kürzeren Zeiträumen zunehmend unzuverlässig.
Deswegen ist es wichtig, den RSI nicht alleine zu nutzen, sondern Signale immer mit zusätzlichen Indikatoren abzusichern. Trader sollten zudem niemals vergessen, dass es prinzipiell niemals geschehen müsste, dass ein Überverkauf tatsächlich eintritt.
Viele Strategien, um Übertreibungen zu traden, bauen auf Grundsätzen auf, die Trader schon sehr früh lernen. Deswegen kann es sich durchaus lohnen, einmal auszuprobieren, wie gut Übertreibungen tatsächlich gehandelt werden können. Trader sollte allerdings beachten, dass die Kurskorrekturen je nach überverkauft oder überkauft durchaus unterschiedlich schnell passieren können.
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